Offener Brief kritischer Studierender an der Universität Frankfurt zu der Einführungswoche der Wirtschaftswissenschaften
An das Präsidium der Universität Frankfurt,
an das Dekanat des Fachbereichs 02 Wirtschaftswissenschaften
und die Fachschaft
Vom 23. bis 25. September hat die Einführungswoche des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, kurz E!-Woche, an der Universität Frankfurt stattgefunden. Mit Befremdung und Beunruhigung mussten wir feststellen, auf welche Weise die Studierenden an ihren neuen Lebensabschnitt herangeführt werden sollen. Zu beobachten war, neben nach einem militärischen Drill klingendem Grölen auf dem Vorplatz des Hörsaalzentrums auf dem IG Farben-Campus im Westend, ein Szenario, welches jedem modernen und aufgeklärtem Verständnis von Gruppendynamik und Sozialität zuwiderläuft.
Junge Erwachsene, die an ihren ersten Tagen an der Uni, angeleitet durch Mentor_innen, an Gruppenspielen teilnehmen sollen, wie beispielsweise einer vielleicht im ersten Moment harmlos klingenden Gruppenmassage, die von den Schultern über die Ohrläppchen bis zur Hüfte der_des jeweils Vorderen wanderte, bis hin zu einem gleichzeitigen setzen aller Beteiligten auf den Schoß der hinteren Person in einem riesigen Kreis, an dem sich der Schätzung nach 300 Menschen beteiligten. Einem Augenzeugenbericht zufolge klang das so: “Richtigen Kreis machen! Babys können das! Ihr seid ja keine Babys mehr? Hey du Jeans, rück‘ mal weiter rechts, damit der Kreis steht! So, gut gemacht!”
Ein Video der E!-Woche im vergangenen Wintersemester 12/13 (s. Anhang) zeigt ähnliche Bilder. Hier werden männerbündische Initiationsrituale, wie das gegenseitige Schlagen auf die Fäuste, Wetttrinken, Spießrutenläufe bei denen den Teilnehmer_innen auf den Hintern geklatscht wird und sonstige entwürdigende „Kraftproben“ als Einführung ins Studium verkauft und zelebriert. Durchzogen ist das Video von Parolen wie „Sei dabei! Lern zum Orgasmus zu kommen.“ und Marschmusik. Am Ende des Videos ist der Schriftzug „Willkommen auf [sic] der Goethe Uni“ zu lesen. Das Verhalten, welches hier durch höhere Semester angeordnet wird, kündet von offenem Sexismus und Sozialchauvinismus. Die Studienbeginner_innen können sich dem Gruppenzwang kaum dezent entziehen, wollen sie nicht negativ oder abweichend auffallen. Uns scheint als sollen hier Orientierung suchende Studierende frühzeitig auf den Gehorsam eingeschworen werden, der von ihnen, gerade unter Berücksichtigung des Studiengangs Wirtschaftswissenschaften, von Beginn an verinnerlicht werden soll.
Zu den Hintergründen des Mentor_innen-Programms des SSIX ( Student Services for International Exchange) ist zu sagen, dass dieses von den privatwirtschaftlichen Unternehmen Deutsche Bank und PriceWaterhouseCooper finanziert wird. An einem Schulungswochenende werden den Mentor_innen scheinbar jene Praktiken gelehrt, welche uns nicht nur irritieren, sondern anwidern. Den Mentor_innen wird an diesem Schulungswochenende geraten, diejenigen, die sich in der E!-Woche nicht motivieren lassen mitzumachen öffentlich als „Langweiler“ bloßzustellen. Wir fragen uns, mit welcher Zielsetzung dieses „Mentor_innenprogramm“ und im besonderen die E!-Woche konzipiert wurde. Ebenfalls fragen wir uns, ob weitere Einführungswochen im Studiengang Wirtschaftswissenschaften an anderen Hochschulen durch die Deutsche Bank und PriceWaterhouseCooper mit ähnlichen Kozeptionierungen finanziert werden. Auf der Homepage des Fachbereichs finden wir weitere Informationen zur E!-Woche. Die Darstellung postuliert mehrfach, dass sich die Mentor_innen in studentischem Engagement beweisen würden und lädt auch dazu ein sich selbst zu engagieren. Wir fragen uns, sieht so das studentische Engagement der Zukunft aus? Weiter wird in einem Imagefilm zur E!-Woche mit den Worten „…komm auch du zur E!-Woche und erlebe den Start in Dein Studium hautnah“ zu dieser eingeladen. Zynischer kann man es kaum formulieren.
Die Hochschulleitung, selbst schnell zur Stelle, wenn es darum geht kritisches, abweichendes Verhalten an der Uni zu unterbinden, selbst wenn es sich bloß um Sticker auf dem vielbeschworenen „schönsten Campus Europas“ handelt, scheint das hier dargebotene Verhalten nicht bloß zu tolerieren, sondern auch noch zu fördern.
Wir möchten nicht, dass Erstsemester die Uni als einen Ort kennenlernen an dem Drill und Sexismus zum guten Ton gehören und fragen uns nicht zuletzt, ob das dann der gewünschte Normalzustand ist.
Links:
Imagefilm zur E!-Woche: http://www.wiwi.uni-frankfurt.de/de/mein-wiwi-studium/ssix-student-services-international-exchange/erstsemester-infos/bachelor/imagefilm-ewoche.html
Youtube-Video zur E!-Woche im letzten Wintersemester 2012/13:http://www.youtube.com/watch?v=x1ffdR-KyHk
Frankfurt am Main, den 30.09.2013
Unterzeichner_innen:
AK Kritische Psychologie
Fachschaft 04 Erziehungswissenschaften
arbeitskreis kritischer jurist_innen frankfurt am main
Grüne Hochschulgruppe
Demokratische Linke Liste
Gemeinsame Liste Medizin
assoziation : aufheben
Ich weiß ja nicht… muss denn im Leben immer alles total ernst und politisch korrekt ablaufen, damit sich manche Weltverbesserer nicht auf den Schlips getreten fühlen? Ich stand während meiner Einführungsphase an der Uni Paderborn bei einem solcher Spiele auch mal nur noch mit Boxershorts bekleidet im großen Brunnen vor dem Paderborner Rathaus mitten in der Stadt – die Mädels durften bei dem Spiel immerhin noch zusätzlich den BH anbehalten. Na und, was ist daran und an anderen Spielen wie dort beschrieben so schlimm? Das Entscheidende ist doch nur, ob man tatsächlich dazu gezwungen wird. Als ich z.B. klar und entschieden gesagt habe, dass ich keinen Alkohol trinke, war das für alle Beteiligten ok, die entsprechenden Spiele habe ich dann einfach ausgelassen. Ob man also wirklich dazu gezwungen wird, ist für mich die einzig wichtige Frage, hier sagt der Artikel aber schon, dass das eigentlich nicht der Fall ist. Fakt ist also, wer da nicht mitmachen will, der muss es auch nicht – er muss nur den Mund aufmachen und das sagen. Willkommen im Leben!
Liebe Linke, nicht neidisch sein bitte.
Als kritischer und denkender Mensch bleib ich einfach zu Hause, informier mich eigenständig und Verlass mich drauf das ich in der Lage bin selbst zu denken. Eine Fähigkeit die man mit Erwerb der allgemeinen Hochschulreife besitzen sollte. Die Verfasser des Textes unterstellen den Wiwi-Erstis pauschal keinerlei Autonomie. Interessant verraten doch die eigenen Vorurteile am meisten über einen selbst. In dem Sinne Prost zum nächsten Ersti-Barabend im KoZ zum kritischen, völlig autonomen, antisexistischen, total ideologiebefreiten Besaufen!
Mirror zum Video der E!-Woche WS12/13 in passendem Ambiente:
http://videobam.com/XQzEQ
Mittlerweile sind alle anderen Videos offline, oder?
Danke Hayek, das muss einer runterladen, damit er es immer wieder hochladen kann! Ganz ehrlich lasst die Leute doch ihren Spass haben, nur weil ihr alles so vermoderte linke und rechte Spiessbürger seit! Gruß von nem Wiwi’ler 😉